Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges im Jahre 1918 und der Bildung des neuen Staates Tschechoslowakei änderte sich für uns Deutsche in den überwiegend von Deutschen besiedelten Gebieten dieses neuen Staates vieles grundlegend. Selbst in unserer Gemeinde, in der nur zwei tschechische Frauen lebten, die mit einem Deutschen verheiratet waren. Tschechische Schulen wurden gegründet,ferner Ämter im nahegelegenen Hartmanitz, wie Gendarmeriestationen, Post u.a. wurden immer mehr mit tschechischen Beamten besetzt. Seit 1920 galten alle Deutsche in Böhmen als tschechoslowakische Staatsbürger, sofern sie nicht für eine Ausreise nach Deutschland oder Österreich optiert hatten.

Das Zusammenleben mit der tschechischen Bevölkerung, auch jenseits der Sprachgrenze, bewirkte keine nennenswerte Probleme. Wenn es galt, Einkäufe zu tätigen, ging ein großer Teil der Deutschen ins benachbarte tschechische Schüttenhofen, wo man in den Geschäften Deutsch sprach und die Waren vielfältiger und billiger waren. Waren des täglichen Bedarfs kaufte man dagegen im Dorfladen oder in Hartmanitz.
Mit der Weltwirtschaftskrise, die 1929 begann, aber sich in den folgenden Jahren erst richtig auswirkte, kamen die großen Probleme. Wie Statistiken zeigen, betraf die Arbeitslosigkeit besonders den deutschen Bevölkerungsteil. Aber noch blieb es im politischen Bereich weitgehend ruhig. Dies änderte sich jedoch allmählich, als Mitte der Dreißiger Jahre in Deutschland durch die Hitler-Regierung die Arbeitslosigkeit zurückging und die deutsche Wirtschaft wieder ihren Aufschwung nahm. Über Radio und die grenzüberschreitende Kommunikation mit der reichsdeutschen Bevölkerung beobachtete man auf deutscher Seite im Böhmerwald diese Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit.
Anfang der Dreißiger Jahre hatte sich in der Tschechoslowakei die SdP –„Sudetendeutsche Partei“ gegründet. Sie vertrat die deutschen Belange und bekam dadurch sehr starken Zulauf. Aber erst 1937 kam es zu einem regen Austausch mit der reichsdeutschen Seite, die immer mehr Einfluss gewann. Das Leben in unserem Gebiet um St. Maurenzen ging dennoch seinen alten Gang. Die Kinder der Deutschen gingen in ihre deutsche Schule, die der Tschechen in die Minderheitenschulen der Tschechen. In den deutschen Schulen galt das Lernfach Tschechische Sprache als Pflichtfach.

In unserem Dorf Kundratitz hatte im Jahre 1934 der tschechische Bankier Frantisek Hasek den Gutshof erworben. Es wurde viel investiert, die Leute vom Dorf und der Umgebung hatten etwas Arbeit bekommen. Sein Verhältnis zur deutschen Bevölkerung war sehr gut. So pflegte er jedes Jahr an Neujahr uns Kinder ins Schloß einzuladen, wo wir Gedichte vortrugen und Geschenke empfingen. Ja, Herr Hasek versäumte es nicht, in die Freiwillige Feuerwehr in Kundratitz als Mitglied einzutreten und spendete für den Verein die stattliche Summe von 1.000,00 Kronen.

Als Mitte März 1938 Hitler in Österreich einmarschierte und Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen wurde, trat im Bewusstsein vieler Deutscher, die nun die Geschehnisse in Deutschland immer mehr verfolgten, eine Wende ein. Für sie war klar, dass es auch für die Sudetendeutschen eine Lösung geben müsste. Der Begriff „Heim ins Reich!“ war immer mehr zu hören. Die tschechische Seite war beunruhigt und wurde zunehmend nervöser. Gegenüber von Annathal wurde ein Bunker gebaut als Teil einer Bunkerlinie, die sich von Neuhäuser bis Rothsaifen hinzog. Die Lage spitzte sich im Sommer weiter zu. Ja, die Angst vor einem bevorstehenden Krieg nahm stetig zu. Die Schulen wurden geschlossen. Hunderte von Deutschen im wehrpflichtigen Alter flüchteten über die nahegelegene Grenze nach Bayern. Auf den Straßen patrouillierte tschechisches Militär. In diese Stimmung hinein kam am 21. September 1938 die allgemeine Mobilmachung. Nur ganz wenige Deutsche folgten dieser Aufforderung. Sie hatten sich anders entschieden.

Inzwischen kam es in München zwischen den Großmächten England, Frankreich, Italien und Deutschland zu Verhandlungen, die mit dem sog. Münchner Abkommen vom 29. September 1938 ihr Ende fanden. Danach sollte die Räumung des sudetendeutschen Gebietes durch das tschechische Militär erfolgen und deutsche Truppen in diese Gebiete einrücken. Diese kamen am 8. Oktober unter großem Jubel nach Hartmanitz. Lastwagen mit Proviant für die Bevölkerung folgten. Die Stimmung auf deutscher Seite war auf dem Höhepunkt. Das Sudetenland und der Böhmerwald wurden dem Dritten Reich angeschlossen. Doch schon kurze Zeit später folgte für manch einen die Ernüchterung: Die ersten Juden wurden abtransportiert, Sozialdemokraten wurden nach Dachau gebracht, wo sie in der Regel sechs Wochen blieben.

Als am 15. März 1939 deutsche Truppen in die Rest-Tschechoslowakei einrückten, lag bei uns meterhoher Schnee. Hitler erklärte dieses Gebiet zum „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“. Auf dem Weg nach Schüttenhofen mussten wir zwischen Diwischhof und Schüttenhofen nun eine Grenze passieren und einen Personalausweis vorzeigen.

Mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurden die Lebensmittelkarten eingeführt, bald gab es den ersten Gefallenen. Es war Franz Jung aus Kundratitz-Zech. Weitere folgten. Allein die kleine Gemeinde Kundratitz mit 360 Einwohner hat 30 junge Männer verloren. Das Leben in den Dörfern, ihre Dynamik, und die allgemeine Stimmung ist durch die Kriegsereignisse längst einer unausgesprochenen Angst gewichen. Am Spätnachmittag des 5. Mai 1945 war mit den heranrückenden Amerikanern, die von kleinen SS-Einheiten bei Kundratitz und Hartmanitz noch in Kämpfe verwickelt wurden, der Krieg zu Ende.

Mitte Mai 1945 erschienen die ersten Tschechen. In Plakaten wurden wir aufgefordert, Schmuck, Radiogeräte, Fotoapparate etc. abzuliefern, Lebensmittelkarten wurden verteilt, und die Schulen wurden geschlossen. Für Deutsche gab es danach weder Fleisch noch Butter. Und wir wurden gezwungen, weiße Armbinden zu tragen. Eine Maßnahme, die wir besonders diskriminierend empfanden. Dazu kamen die Hausdurchsuchungen, auch zur Nachtzeit. Es gab Verhaftungen. Und es gab eine Reihe von Übergriffen. So wurde im Mai 1945 eine Frau von der Einöde bei Gutwasser im Beisein ihrer beiden kleinen Kindern von einer Gruppe Tschechen erschossen, weil sie sich geweigert hatte, einen Holzstapel umzuschlichten, in dem man Waffen vermutete.

Schon im Sommer 1945 tauchten erste Gerüchte auf, wonach alle Deutschen aus dem Land vertrieben werden sollten. Zunächst nur ein Gerücht, das sich aber zunehmend zur Gewissheit verdichtete. Damit begann die Zeit des Schwarzgehens. Wer körperlich in der Lage war und die Gefahr nicht fürchtete, schwarz und nachts über die Grenze nach Bayern zu gehen, brachte auf diese Weise nach und nach seine wichtigsten Gegenstände und Habseligkeiten in Sicherheit. Gefährliche Aktionen mit oft tödlichem Ausgang. 

Im Frühjahr 1946 verließ der erste Güterzug mit Waggons zu je 30 Personen, insgesamt also 1.200 Leuten, den Bahnhof von Schüttenhofen in Richtung Furth im Walt, Bayern. Für meine Mutter und den beiden Geschwistern war dieser Tag der 21. Juni. Der letzte Tag und ein letzter Halt am Bahnhof von Pilsen, wo uns am gegenüberliegenden Bahnsteig eine Schulklasse mit Lehrer erwartete und uns mit mitgebrachten Steinen bewarf. Eine letzte Erinnerung, die bitter in Erinnerung geblieben ist.

Karl Suchy München, 9. Mai 2013

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